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                               Heute und Gestern, gleich nah

 

 

Das ausgewählte Kind 

 

     Meine „neuen Eltern“ haben mir immer erzählt, dass ich ein „ausgewähltes“ Kind war. Ich war acht Monate alt, als sie mich an Weihnachten 1931 quasi als Weihnachtsgeschenk aus dem Heim holten. Für meine Mutter war „Erbgut“ ein Entscheidungsfaktor, mich zu nehmen. Mein leiblicher Vater war Musiker und Komponist. So würde auch ich musikalisches Talent haben, war ihre Logik. Sie las die neuesten Bücher über Kindererziehung, kaufe pädagogisches Spielzeug für mich, aber die Mutterliebe, die ein Kind braucht, konnte sie nicht aus Büchern lernen.Die Ausquartierung

 

Die Ausquartierung

     Minna kam zu uns als Siebzehnjährige, um sich um mich zu kümmern, und wurde mit der Zeit wie eine große Schwester. Um mein Einzelkind-Dasein zu kompensieren nutzten meine Eltern trotzdem jede Gelegenheit, mich bei Bekannten  für eine Woche und manchmal länger auszuquartieren.

     Das erste Mal war ich  bei einer Försterfamilie, die am Rand des Waldes wohnte. Nachmittags ging der Förster mit seiner Tochter und mir in den Wald, den ich nur aus gruseligen Märchen wie „Hänsel und Gretel“ oder „Rotkäppchen“ kannte. Grimms Geschichten waren an und für sich schon angsterregend. Die Tochter des Försters, ein paar Jahre älter als ich, kannte sich im Wald aus. Für mich war der Spaziergang wie ein Unter- richt. An einer Lichtung, hielt der Förster an und deutete auf einen Fuchs, der gerade auf der Jagd war. Also war der Wald doch ein gefährlicher Ort. 

     Das Ausquartieren setzte sich fort. Es war keine schöne Zeit, doch hat es meine Fähigkeit, mich im späteren Leben an neue Situationen anzupassen, sehr geprägt. In den kommenden Lebensjahren sollte ich zehn verschiedene Schulen besuchen und unter der Autorität von drei     verschiedenen Institutionen leben oder arbeiten müssen.

 

.Ein neuer Anfang

     Die Kassenärztliche Vereinigung Deutschland (KVD) hatte meinem Vater den Stadtteil Bockenheim zugewiesen. Vorübergehend mietete er eine Vier-Zimmer-Wohnung in der Kurfürstenstraße. Zwei Zimmer waren Teil der Praxis, während ich und Minna je ein Mansardenzimmer im vierten Stock bekamen. Der Hausbesitzer wohnte im Parterre und machte ein weiteres Zimmer frei für das Wartezimmer. Bockenheim war wie ein kleines Dorf, aber mit viel mehr Autos als Salmünster. Ich sah zum ersten Mal ein Dreiradauto. Es kam mir wie ein großes Spielzeug vor. Die Stadt war interessant und schön. Ständig kamen neue Geräusche aus den Hinterhöfen: Motoren, Stimmen von Menschen. Aufregend fremd für mich. Jeden Morgen musste ich im Milchgeschäf um die Ecke einen Becher Sahne trinken. Ich wehrte mich zunehmend gegen diese Überfütterung, was dazu führte, dass ich öfers bestraf wurde.

     In der Mark- grafenstraße sah ich zum ersten Mal zwei Mädchen anderer Hautfarbe. Sie waren hübsch und schön angezogen – sogar mit modischen Hüten. Ich war fasziniert. Jahrzehnte später erfuhr ich, dass der Vater der beiden Mädchen von Nazis so geschlagen wurde, dass er später starb.

 

Bomben auf Frankfurt

 

Im September felen wieder Bomben auf Frankfurt. Ein Haus in der Ginnheimer Landstraße, am Ende der Sophien straße, wurde getrofen. In den folgenden Tagen gab es eine Wanderung von Schaulustigen. Auch meine Neugier trieb mich dorthin. Eine Seite des Hauses war komplett weggerissen. Die Räume auf jeder Etage mit der noch zum Teil intakten Einrichtung standen nun entblößt da. Es war ganz still. Eine leichte Brise kam auf und setzte ein weißes Betttuch in Bewegung, als ob es mir zuwinke. Der November 1941 war sehr kalt. Eiszapfen hingen von den Dächern. Schnee lag auf den Gehwegen. Eines Tages ging meine Mutter mit mir in die Bockenheimer Landstraße, ohne mir zu sagen warum. Es war Spätnachmittag und langsam wurde es dunkel. Wir liefen auf der linken Seite der Straße Richtung Alte Oper und waren sonst alleine. Auf der anderen Straßenseite standen ofene Lastwagen, auf die Leute mit Kofern, Decken und Kleidung kletterten. Große Loren voller Schnee jeweils von zwei Männern geschoben, kamen uns entgegen und gingen ganz langsam an uns vorbei. Einen dieser Männer werde ich nie vergessen. Ein schöner, großer Mann. Er trug eine Hornbrille und schaute sehr ernst geradeaus, als er an uns vorbeiging. Meine Mutter beugte sich zu mir und sagte: „Ich will, dass du nie vergisst, was du hier siehst, wie man hier mit den Menschen umgeht.“ 

Ausquartieren nach KronbergAm 1.                     September 1942 wurde ich mit Sack und Pack dorthin gebracht, was de facto einer Abschiebung gleichkam. Ich verbrachte die Schulzeit der nächsten drei Jahre dort. Trotz meiner Vorbehalte war es der Beginn der drei schönsten Jahre meines Schülerlebens. 

 

     Die meisten von uns Schülern waren das erste Mal über eine längere Zeit weg von Zuhause. Manche, wie ich, genossen ihre Freiheit. Andere hatten Heimweh oder konnten ihren Platz in der Gruppe nicht fnden. 57 Rudi, zum Beispiel, ein ganz Stiller und absolutes Genie in Mathe. Trotzdem saß er die halbe Nacht auf der Toilette und lernte für die Schule. Er hätte es nicht nötig gehabt und wir lachten ihn deswegen aus. Eines Tages, versuchte er sich aufzuhängen. Er band einen Strick an einen Kofer der oben auf dem Schrank lag und sprang von einem Stuhl, aber der Kofer war leer und fel einfach herunter. Danach blieb Rudi nicht mehr lange. Anne: Gruppen haben eine eigene Dynamik. Im Sommer musste man als „Mutprobe“, zum Beispiel, Äpfel oder Kirschen klauen.

     Anne war dreizehn als sie ins Schülerheim kam. Ihre Eltern waren Mitglieder der Heilsarmee, deren Tätigkeit in der Nazizeit stark eingeschränkt war. Anne war sehr kindlich, und in allem was sie tat und sagte, nahm sie Bezug auf „das liebe Jesulein“ und alle lachten über sie. Auch ich. Wir wurden ins Schülerheim geschickt um geschützt zu sein. Aber keiner war da um sie vor uns zu schützen. Bald hat ihre Mutter sie wieder abgeholt. 

 

 Abschied vom Schülerheim

     Nachts während des Fliegeralarms hörten wir im Radio die codierten Meldungen über Typ und Anfugrichtung der englischen Flugzeuge. Wenn sie Richtung Frankfurt nahmen, wussten die Jungen im Schülerheim, dass sie am nächsten Tag in Frankfurt helfen mussten, Verschüttete auszugraben. Schon im Herbst 1944 konnte man im Taunus den Kanonendonner von der Westfront hören. Der Krieg rückte näher und meine Mutter, die immer den BBC hörte, sagte mir, dass die Amerikaner bald auch bei uns seien. Ab diesem Tag träumte ich von Amerika und von der Musik die wir im Schülerheim von amerikanischen Schallplatten, die irgendjemand von zu Hause mitgebracht hatte, hörten und mitsummten. Später erfuhr ich, dass es „Swing“ war. Anfang 1945 wurde die Schule in Kronberg geräumt, um Platz zu machen für ein Lazarett. Die Klassen wurden auf das Schülerheim und Gastwirtschafen verteilt. Am 29. Juni 1945 zogen die Amerikaner in Kronberg ein

 

Bergen-Enkheim

 

     Den Umzug nach Bergen hatten wir im Januar 1945 ohne meinen Vater gemacht. Meine Mutter fand den Besitzer eines Pritschenwagens der uns und unsere Habe 60 Kilometer über Landstraßen, unter ständiger Angst vor Tiefiegern, nach Bergen brachte. Bergen-Enkheim liegt nordöstlich von Frankfurt. Von dort überschaut man einen Teil des Untermaingebietes um Ofenbach. Am 2. und 6. Januar wurde Hanau am schwersten von Lufangrifen getrofen. Es musste in diesen Tagen gewesen sein, als es kleine schwarze Stücke verbrannten Papiers auf Bergen herunterregnete, die alles bedeckten. In dieser Zeit gaben Lautsprecher in den Straßen fast stündlich Alarm. Aber man konnte nicht den ganzen Tag im Keller sein und manchmal blieben wir einfach draußen. Ich hatte nie Angst, dass es uns trefen könnte. Die Bomben sahen wie schöne, silberne, tanzende Blätter aus und je nachdem, wann sie ausgeklinkt wurden, konnten wir abschätzen, ob sie uns in Bergen trefen oder weiter in Frankfurt fallen würden. Jedoch hatten verfrüht ausgelöste Bomben schon Häuser in Enkheim getrofen.

     Helmuth S., ein Mitschüler, war in der Schule. Als er nach Hause kam, stand es nicht mehr. Von einem Tag auf den nächsten war er Vollwaise geworden und bekam Unterkunf bei den Nachbarn. Jahre nach dem Krieg habe ich erfahren, dass er meine Freundin Annemi geheiratet hat, was mich sehr freute. Im März 1945 war der Krieg so gut wie vorbei. Die Amerikaner waren schon am Main. Irgendein Verrückter fing wieder an, aus dem Vilbeler Wald zu schießen. Natürlich wurde zurückgeschossen und wir mussten wieder in den Keller der Schule gehen. Schon in den Wochen zuvor hatte mein Vater dort ein Lazarett eingerichtet. Langsam sind die ersten Verletzten gebracht und auf Stroh gelegt worden, bis sie behandelt werden konnten. Ich hatte nie schlimme Verletzungen sehen können, und die vor Schmerz stöhnenden Menschen versetzten mich in Panik. Ich rannte zum Eingang. Als ich nach draußen kam, explodierte eine Granate über dem Schulhof, wovon ein ziemlich großer rotglühender Metallsplitter über meinen Kopf fog und einen knappen Meter vor mir landete. Der Gedanke, dass er mich hätte töten können, kam mir gar nicht. Stattdessen wartete ich bis der 120 Gramm schwere Brocken abgekühlt war und steckte ihn ein. Ich habe ihn heute noch, als meinen Glücksbringer.

     Täglich zogen Menschen aus Frankfurt und Umgebung hoch nach Bergen an unserer Parterrewohnung vorbei: Frauen und Kinder mit ihrem Hab und Gut auf einen Handwagen gepackt, alte Männer, die kaum noch gehen konnten. Sechzehn siebzehnjährige Soldaten in zu großen Uniformen und schweren, sogenannten Knobelbecherstiefeln. Alle fohen vor der bevorstehenden Einnahme Frankfurts durch die Amerikaner. Der März 1945 war sehr heiß. Den ganzen Tag standen wir am Fenster und gaben den Vorbeiziehenden Wasser. Manche fanden eine Bleibe in Bergen, wenn auch nur für eine Nacht, andere bauten sich ein provisorisches Lager im Wald oder gingen nach Osten weiter. Wegen der Tiefieger blieb ein Versorgungszug der Wehrmacht mit Lebensmitteln unbewacht und verlassen in Fechenheim stehen. Es dauerte nicht lange, bis er total ausgeplündert war, wovon auch wir proftierten.         Die Bewohner von Bergen hatten Angst vor Einbrüchen durch befreite Zwangsarbeiter oder DPs (Displaced Persons) 74 die sich nachts in der kleinen Stadt aufielten. Manche Einwohner hatten eine Methode ausgedacht, die befreiten, aber nun obdachlosen ehemaligen Kriegsgefangenen in der totalen Dunkelheit zu vertreiben: nämlich eine Blechdose gefüllt mit Wasser senkrecht aus dem Fenster fallen zu lassen, das würde auf dem Boden einen lauten Knall geben. Eines Abends klopfe es laut an der Tür. Jemand rief „Herr Doktor“. Vor der Tür stand ein am Kopf blutender, polnischer DP, gestützt von einer Nachbarin, die ihn auf der Straße liegend fand. Er war sichtlich von mehreren Leuten zusammengeschlagen worden. Es dauerte, bis das NSDAP-Haus in der Steingasse, das früher einem jüdischen Arzt gehörte, geräumt wurde und die Arztpraxis, und später auch wir, dort einzogen – natürlich war niemand in Bergen Mitglied der NSDAP gewesen. Es war ein Einfamilienhaus, das wir mit einer anderen Familie, die durch unsere Wohnung in ihre Wohnung gehen musste, teilten. Solche Wohnverhältnisse waren luxuriös in Kriegszeiten, die nach dem Krieg meistens fortbestanden. Ende März kamen die Amerikaner, um „Law and Order“ einzuführen und verhängten Ausgangssperren. Trotzdem haben die Leute sich tagsüber und abends von Hinterhof zu Hinterhof bewegt, ohne aufzufallen. Für die amerikanischen Soldaten waren alle Deutschen Nazis, denen man keinen Respekt erweisen sollte. Jedes Haus wurde durchsucht, nach Waffen und versteckten deutschen Soldaten.

     Eine Gruppe von fünf ziemlich jungen amerikanischen Soldaten, nahm bei uns kurz Quartier. Sie warfen sich mit ihren dreckigen Stiefeln auf unsere Betten und in meinem Zimmer machten sie Feuer auf dem Holzboden. Sie durchsuchten die Wohnung und fanden Briefmarken, auf denen Hitler abgebildet war. Diese Entdeckung haben sie mit Spaß in kleine Stücke zerrissen und unseren Kanarienvogel damit gefüttert. Im Hof übten zwei von ihnen Messerwerfen. Im Keller haben sie alle Einmachgläser, die sie fanden, aufgemacht. Sie hatten keine Ahnung welche Versorgungsnot bei uns herrschte. Auch freuten sie sich über 75 die Flasche Cognac, die mein Vater aufgehoben hatte, um das Ende des Krieges zu feiern. Nun feierten sie. Der Gruppenführer, ein Captain (Oberst), nicht wesentlich älter als die anderen Soldaten, war freundlich. Er verstand deutsch. Einer der Soldaten fand die zwei einzigen Eier in der Speisekammer und forderte meine Mutter auf, sie zu braten. Sie merkte, dass auch er deutsch verstand und fragte: „mit Fett oder ohne?“ Er antwortete: „mit“. Sie unterhielt sich weiter: „Sie haben bessere Manieren als die anderen. Ihre Mutter hat sie gut erzogen. Sie ist sicher sehr stolz auf sie“. Er lächelte freundlich. Bald danach zogen sie ab. 

 

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"Farben eines Lebens" 

(c) REUTERS   REBECCA COOK
(c) REUTERS REBECCA COOK
Detroit 1920                                                                                                                                                                              Wkimedia Common
Detroit 1920 Wkimedia Common

 

 

 Das Gelobte Land

 

"Großvater war der Urenkel ehemaliger Sklaven. Er lebte in Centerville, Tennessee, bevor er nach Detroit kam, um in der boomenden Autoindustrie zu arbeiten. Es war der Beginn der „Great Negro Migration“. Seine Frau und sein Sohn Richard blieben zurück. Richard, damals sechzehn Jahre alt, hatte den Ruf, ein "böser Nigger" zu sein, und war wegen geringfügigen Fehlverhaltens zu sechs Monaten in einem Arbeitslager verurteilt worden. Nach seiner Entlassung im Jahre 1919 kamen beide zu meinem Großvater nach Detroit, der bei der Ford Motor Co. Arbeit gefunden hatte".

 

 

            

"Als Kind hörte ich meinen Vater über Ereignisse jener Tage reden. Namen wie Club Plantation und die Flame Bar fielen, und gelegentlich saß er am Klavier und spielte eine Boogie-Woogie-Nummer. Ich stellte mir vor, wie er und meine Mutter zu dieser Musik, die aus diesen pulsierenden Clubs und Tanzsälen in Paradise Valley  kam, tanzten. Bessie Smith und ihre Company traten im Koppin Theater im Jahr 1924 auf, wie die meisten Bluessänger, wenn sie nach Detroit kamen. Blues Man Blind Blake schrieb Titel wie "Detroit Bound Blues“ und "Hastings Street" im Jahr 1928 - Lobeshymnen auf Black Bottom". Die Gemeinde wuchs noch, und damit auch die Theater, Nachtclubs und Tanzlokale. Jazz und Gesellschaftstanzkapellen kamen nach Detroit in den 1930er Jahren, um in der Freimaurer-Halle und dem Greystone Ballroom zu spielen".

 

LC-USW3-016549-C - Library of Congress
LC-USW3-016549-C - Library of Congress

  Grenzen Überschreiten

 

"Die ersten fünf Jahre meines Lebens verbrachte ich im Schutz meiner Familie und Freunde. Aber draußen in der Welt regierte Hass. Seit Dezember 1941 war Amerika im Krieg mit Japan und Deutschland, und bald erreichte der Hass unsere Gemeinde. Es war 1942 und mein erstes Jahr im Kindergarten. Dorthin zu laufen, schien mir kilometerweit zu sein, aber der Weg wurde kürzer, je älter wir wurden. Unsere Grundschule, Atkinson, war in einer rein weißen Gemeinde, aber die Schule selbst war schon von Kindern aus Conant Gardens integriert worden. Deren Anzahl wurde größer, als mehrere schwarze Familien die leeren Grundstücke mit neuen Häusern füllten. Um in den Rüstungsfabriken zu arbeiten, kamen Hunderte nach Detroit, und sie brauchten Wohnungen. Ein Wohnungsprojekt namens Sojourner Truth wurde gegenüber unserer Schule für schwarze Arbeiter errichtet. Das Projekt führte zu Rassenausschreitungen. Berittene Polizei hielt die Gruppen auseinander, und Ryan Road wurde zur Grenze zwischen den schwarzen und weißen Gemeinden".

 

 
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 Sex und andere Geheimnisse

 

Zuerst hielten wir bei Benny's Autowerkstatt. Den Namen Benny kannte ich in Verbindung mit Angeln und Pokerspielen. Seine große, mit Motoröl verschmierte Hand umfasste meine, als er meinen Vater für seinen "fein aussehenden Jungen" lobte. Sie sprachen von alten Zeiten, während ich durch die Garage schlenderte, mir das Durcheinander von Autoteilen ansah und versuchte, ihre einzelnen Funktionen zu identifizieren. Der ganze Ort ähnelte eher einem Autoschrottplatz als einer Reparaturwerkstatt. Eine Stunde und drei Drinks später war mein Vater bereit zu gehen, und wir setzten unsere Tour  fort.

Das Haus sah verwahrlost aus, wie die meisten in diesem Stadtteil. Die Holzstufen bogen sich unter unserem Gewicht, und die Veranda hatte sich ein paar Zentimeter weg vom Haus gesenkt. Der Mann, der zur Tür kam, hatte meinen Vater nicht erwartet und begrüßte ihn wie einen lang verlorenen Freund. Wir wurden in die Küche geführt, wo zwei Frauen an einem kleinen Tisch saßen. Nach den leeren Bierflaschen auf dem Tisch zu urteilen, hatten sie wohl schon eine Weile dort gesessen. Ich wurde ihnen vorgestellt und bekam die gewöhnlichen Komplimente ein "gut aussehender junger Mann" zu sein. Man unterhielt sich wieder über die „gute alte Zeit“: über das Paradise Theatre, die Flame Show Bar, die Lotterie und Frauen. Mehr oder weniger gelangweilt, verfolgte ich die Unterhaltung nicht weiter. Ich konnte nichts mit ihren Erfahrungen anfangen. Plötzlich sagte jemand zu meinem Vater: "Nein, tu das nicht", worauf er antwortete: "Er ist alt genug." Ich verstand, dass sie über mich sprachen. Seine Hand auf meiner Schulter, sagte mein Vater: "Erinnerst du dich, als ich vor Jahren ein paar Tage lang nicht nach Hause kam und Weihnachten verpasste?“ Die anderen protestierten wieder, aber er redete weiter und deutete auf eine der Frauen, die in diesem Moment ihr Bierglas hob und es in einem Schluck leerte. "Sie war der Grund.“ Alle redeten auf einmal, aber ich hörte ihre Stimmen nicht mehr. Ich wusste nicht, was sie von mir erwarteten. Wollte er mein Urteil über diese Frau?. War sie vor Gericht oder er? Sie sah mich nicht mehr an. Ich konnte ihre Verlegenheit spüren, und das berührte auch mich peinlich. Warum weihte er mich in dieses Geheimnis ein?"

 

 

Quelle:http://blackamericaweb.com/2013/11/26/little-known-black-history-fact-black-is-beautiful/
Quelle:http://blackamericaweb.com/2013/11/26/little-known-black-history-fact-black-is-beautiful/

 

 Schwarze Schönheit

 

 

Als ich mich umdrehte, trafen meine Augen auf die Ebenholzstatue einer afrikanischen Königin mit hohen Wangenknochen und einem schmalen langen Gesicht. Sie presste ihre Lippen zusammen und ließ sie sich dann zu ihrem natürlichen Volumen entfalten. Es gab ihrem angefeuchteten roten Mund das Aussehen einer sich öffnenden Rose. Mrs. Morrison stellte sich vor und erklärte, dass sie und ihre Tochter gerade von Mont- gomery (Alabama) nach Detroit gezogen waren und einfach die Kirche an diesem Sonntag besuchten. Sie erhielten Lobte  von Reverend Dean für den Bus-Streik in Alabama,  obwohl er nicht wusste, ob sie persönlich an den Demonstrationen teilgenommen hatten. Aber von der Frontlinie zu kommen, gab ihnen einen bestimmte Status, den wir nicht erreichen konnten.

Ich entdeckte Mrs. Morrisons ihre Tochter wieder im Gemeindesaal im Untergeschoss der Kirche, wo nach den Gottesdiensten immer eine lockere Geselligkeit mit Erfrischungen stattfand. Sie stand allein am Tisch mit Kaffee und den verscheidenen Kuchen, die dafür sorgten, das die guten Schwestern ihre XL-Größe behielten, um weiterhin  ihre Figuren in XL-Kleider zu zwängen zur großen Freunde einiger der guten Diakone. Während der Revend ihre Mutter über die Ereignisse in Montgomery ausfragte, schlenderte ich zum Tisch, als ob mein eigentlichen Ziel der Kaffee war, und stoppte kurz davor als ob ich erst ihre Anwesenheit bemarkt hätte „Oh, Hi,. Ich heiße Donald, wie heißt Du?" In einem lang gezogenen südlichen Akzent sagte sie "Burnaadan". Ich  versuchte, meine Verlegenheit zu vertuschen, nicht in der Lage zu sein, ihren Akzent zu verstehen. Meine nächste Frage half auch nicht weiter: "Wie lebt es sich im Süden?". Sobald die Wörter aus meinem Mund kamen, wusste ich, dass das eine blöde Frage war. Es klang arrogant, und sie reagierte entsprechend: " Oh, wir haben fließend warmes und kaltes Wasser, eine Toilette im Haus und sogar ein Telefon, und ich kann das ganze Jahr braun werden.“Ich hatte nicht erwartet, dass sie das Thema Hautfarbe als ihre Trumpfkarte herausholen würde, und für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Blacks brauchen natürlich keinen Tan.  In jenen Tagen gaben schwarze Frauen eine Menge Geld aus für Bleichcream, die in der Ebony und anderen Zeitschriften beworben wurden. Aber sie hatte doch gesagt, "Ich kann einen Suntan bekommen."  Ich hätte antworten sollen: „Ich habe deine schöne Tönung bemerkt.“ Das hätte aber als zynisch interpretiert werden können oder als "signifying", wie wir sagen. Hautfarben war immer ein heikles Thema unter Schwarzen. Seit der Sklaverei wurde "Blackness" immer mit etwas Negativem, schmutzigem und Unerwünschem in Verbindung gebracht. Aber sie schämte sich ihrer Erscheinung in keiner Weise. Es war ein neues Bewusstsein , dass sich bald zu  verbreiten begann,  aber ich erkannte es in diesem Moment nicht."           

 

 Frankfurt am Main

Donald und Chester Vaughn, 1945
Donald und Chester Vaughn, 1945

 

 Färbe meine Welt Army Khaki

 

"Ich hob meine rechte Hand und wiederholte die Worte, die uns von dem FeldwebelSergeantSergeanten hoch auf einer Plattform am Fort Wayne Army Post vorgelesen wurden:

„Ich schwöre feierlich, dass ich die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen alle Feinde schützen und verteidigen werde, ob ausländische oder einheimische; dass ich zu derselben wahre Treue und Loyalität bewahren werde; und dass ich den Befehlen des Präsidenten der Vereinigten Staaten sowie der mir nach dem Uniform Code of Military Justice [Anm.: englische Bezeichnung für das amerikanische Wehrrecht] übergeordneten Offiziere Folge leisten werde, so wahr mir Gott helfe.“

 

Der Koreakrieg war vorbei, und die Army versprach wieder eine Ausbildung, einen Beruf, ein Zuhause für die Familie und 50.000 Dollar Lebensversicherung. Da mögen  hundert andere Gründe gewesen sein, dass jemand zur Army gehen wollte. Ich wollte meine Studium zu Ende bringen und gleichzeitig heiraten. Ziele, von denen, Sergeant Sgt. Dunhill sagte, dass ich sie erreichen könnte, wenn ich mich drei Jahre verpflichten würde. Er war einer unserer Nachbarn, dem es gelungen war, in seiner Heimatstadt als Rekrutierungsoffizier stationiert zu werden. Er hatte schon einen der Jungs aus unserer Gang rekrutiert. Man musste nur zu seinem Haus gehen, er gab dir alle Informationen, und man konnte die Anträge sofort in seinem Wohnzimmer unterzeichnen. Das war alles.   Was er   mir aber nicht sagte, war, dass man mindestens den Rang eines Unteroffiziers haben musste, um eine von der Regierung bezahlten Wohnung zu bekommen.  Aber das wurde irrelevant, wie sich herausstellten sollte".

 

 


Lange Schrin zwischen Bendergasse und Markt ca. 1950  Bild Quelle Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
Lange Schirn zwischen Bendergasse und Markt ca. 1950 Bild Quelle Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

 

 Kulturschock

 

"Offiziellen Angaben zufolge, ließen im März 1944, 749 Royal Air Force Lancaster und Halifax Bomber 1300 hochexplosive Bomben und 600.000 Feuerbomben auf Frankfurt regnen und verwandelten die Stadt in einen Haufen Asche und Steine. Dreizehn Jahre später konnte ich immer noch die leeren Flächen zwischen Häusern und Trümmerresten sehen. Oft das einzige Zeichen, dass dort einmal ein Haus gestanden hatte, war die klar erkennbare Markierung auf der Wand eines Nachbarhauses, wo eine Treppe oder eine Etage endete und eine andere begann. Es war auch eine surreale Szene, Bäume aus der Ruine der alten Oper, die nur eine Hülse war, wachsen zu sehen. Rechts davon in der Richtung Bockenheimer Landstrasse, war ödes Gelände. Fast zugewachsen, ein Steinhaufen, der einmal diedas klassizistische Rothschild-Garten Villae war. Heute ist der ihn umgebende Park öffentlich.

 

Seit die US Army die Stadt - oder das, was von ihr übrig geblieben war- im März 1945 einnahm, wurde sie vom“ American Way of Life“ geprägt. Es gab nach Rassen getrennte Clubs, in denen entweder nur “Country-Western“-Soldaten oder nur Schwarze Soldaten verkehrten. Aber das zeigte nicht die durchschnittliche Einstell- ung zu Schwarzen.  Zumindest hatte ich noch keine offenen Feindseligkeiten erlebt, im Gegenteil. Deutsche, die 1945 Kinder waren, sprachen noch immer von den freundlichen schwarzen Soldaten oben auf den PanzernTanks, die ihnen die in Silberpapier gewickelten Hersheys Chocolat Kisses herunter warfen. Gehörten sie zu dem 761sten Tankbataillon, als die Black Panthers genanntbekannt?

Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main

Es war aber nicht nur der Krieg, der Afro- amerikaner nach Frankfurt brachte. Unser kulturelles Erbe war schon vorher in Europa bekannt ge- macht worden. Die Fisk Univer- sity Jubilee Singers sangen 1878 in mehr als fünfundsiebzig deutschen Städten. Auch in Frankfurt gab es am 21sten. Februar des- selben Jahres ein Konzert. Schon 1927 wurde Jazz an Dr. Hoch’s Musik-Konser- vatorium in Frankfurt gelehrt".

 

 

 

Wikimedia Commons Tuskegee Airmen
Wikimedia Commons Tuskegee Airmen

 Meine Helden


"Aber wir hatten andere fliegende Helden, die vom Army Air Corps im Jahre 1944 angenommen wurden und Kampfeinsätze in Europa flogen. Sie nannten sich die Tuskegee Airmen. Oberstleutnant Alexander Jefferson, unser Christian-Youth-Berater, war einer von ihnen.  Jeff erzählte uns oft Geschichten über seine Kriegserlebnisse. Die, die am lebhaftesten in Erinnerung blieben, waren die Ereignisse, nachdem er im Norden Frankreichs gefangen genommen wurde. Die Tuskegee Piloten – bekannt als die all-black Gruppe - begleiteten in der Regel die B17-Bomber zum Schutz über Deutschland, aber dann flogen sie die Küste Frankreichs entlang, um die deutschen Radargeräte auszuschalten. Jeff nannte es eine Selbstmord-Mission, weil sie in geringer Höhe fliegen mussten, und die Deutschen waren stark befestigt. Wie sich herausstellte, wurden fünf Piloten aus der Staffel durch Flak-Feuer abgeschossen. Nur Jeff überlebte und wurde als Kriegsgefangener zu einem Dorf in der Nähe von Toulon zum Verhör abgeführt. Zu seiner Überraschung war der deutsche Offizier ein Absolvent der University of Michigan, sprach perfekt Englisch und hatte oft Paradise Valley, das schwarze Amüsierviertel in Detroit, besucht. Das mag wahr sein oder nicht. Deutsche Spione waren durchaus in der Lage, die Namen der 445 schwarzen Piloten und Informationen über sie zu bekommen und diese an die Offiziere, die die Gefangenen verhörten, weiterzugeben. Die Deutschen hatten bereits einen Namen für sie:. "Die Schwarzen Vögel mit roten Schwänzen."

 

 


Donald Vaughn und Otto Braun 1960
Donald Vaughn und Otto Braun 1960

     Ein anderes Leben, eine andere Liebe

 

"Die Studenten, die bei Frau von Butlar-Schönpflug Gesang studierten, trafen sich einmal im Monat zu einem informellen Vorsingen und anschließend in einem kleinen Gasthaus, um Apfelwein zu trinken. Es war wie ein Familientreffen, und wir waren ihre Kinder. Scherzhaft nannte sie mich „ihr Baby“ - einmal hatte ich erzählt, dass meine Großmutter mich so genannt hatte. Wenn wir ihre Kinder waren, dann war Herr Braun unser Vater. Otto Braun hatte den einst führenden deutschen Bariton Heinrich Schlussnuss begleitet, der 1952 gestorben war und seinen Platz Dietrich Fischer-Dieskau hinterließ. Er  kam jede zweite Woche, um uns zu begleiten, und trug immer einen schwarzen Anzug, als seien wir auf der Bühne. Er war schon in seinen späten Sechzigern. Sein weißes, zurückweichendes Haar war noch voll genug, um ihm eine sehr distinguierte Erscheinung zu geben. Seine langen, feinen Hände glitten über die Tasten, sie kaum berührend, brachten sie aber jede Nuance der Arien oder Lieder, die wir sangen, hervor. Er lehrte uns zu hören, mit unserem Körper ein Teil der Musik zu werden und nicht nur Noten zu singen. In seiner ruhigen Art korrigierte er unsere Haltung und choreographierte unsere Bühnenpräsenz".

                                                                           

 

 Zurück an der Heimatfront

 

Ich kam mir in meiner eigenen Nachbarschaft wie ein Ausländer vor. Dazu sagten meine Freunde auch noch, ich hätte meinen schwarzen Akzent verloren . Andrerseits wussten sehr wenige meiner Freunde etwas über Deutschland oder, wo genau es liegt. Die Ausnahme dieser Regel war mein Onkel Clarence, die literarisch belesenste Person in der Familie. Wie er nach  Detroit kam, war so etwas wie eine Familienlegende. Clarence hatte schon auf der Farm seines Großvaters Baumwolle gepflückt. Es war nicht ungewöhnlich, Kinder in den erst zu sehen, und an manchen Orten waren die Schulen sogar während der Erntezeit geschlossen und wurden. erst im November wieder geöffent. In der nächten zwei Wochen arbeiten mein Okel und Jake am Mississispi. Auf ihrem Weg nach Norden, hielten sie in Orten, wo Jake wusste, dass „seine“ Leute teilten, was immer sie hatten, wenn er keine Arbeit fand. Als sie endlich in Jackson ankamen, mussten sie bis zum Abend warten, um nicht auf dem Bahnhofsgelände gesehen zu werden, bevor sie einen nach Norden fahrenden Zug nach Tennessee und Illinois erwischten.

 

In Memphis kamen andere dazu, die auch die Dunkelheit nutzten, um mit dem Mitternachtsspezial zu fahren. Einige waren auf der Flucht vor den Jim-Crow- Gesetzen, andere ließen Familien zurück, wie der Vater von Clarence. Als der Zug in den Bahnhof von Ost- St.Louis fuhr, sprangen sie ab bei der „Hole in the Wall Junction„ (Loch- in- der- Wand- Verbindung.).“ Zwei Tage lang versteckten sie sich in dem Labyrinth des riesengroßen Bahnhofsgeländes, immer in Angst, von den Bahndetektiven erwischt zu werden. Endlich kam der richtige Zug mit den Buchstaben WAB auf der Seite der Frachtzüge. WAB hieß Wabash Line, die Clarence und Jake in das Herz von Detroit bringen würde. Dort angekommen, sprangen sie lieber an der „Ecorse Juncktion“ hinter der Ford-Rouge-Fabrik ab, als in der Clay Avenue „Milwaukee Juncktion“ in Hamtramck mitten in einem ganz „weißen“ polnischen Viertel, wo sie keinen Schutz finden würden. Dann mussten sie die „First Congressional Church“ finden, eine der schwarzen Kirchen, die Reisenden aus dem Süden Unterkunft bot, wie zu Zeiten der Sklaverei, als sie Teil der „Underground Railroad“ war und den entkommenen Sklaven zur Freiheit verhalf.

Hier ist die Legende zu Ende. Endlich, siebzehn Jahre später, machte seine Schwester auch die Reise nach Detroit. So waren sie Erwachsene, als sie wieder als Familie zusammenkamen.

 


Al Curtis, Burg Waldeck, 1965
Al Curtis, Burg Waldeck, 1965

 Der Klang meiner Stimme

 

Bei diesem zweiten Burg-Waldeck-Festival, kamen sozialkritisch-musikalische Kommentare, die sich gegen Atomversuche, die Wiederaufrüstung der deutschen Bundeswehr und die Franco-Diktatur in Spanien richteten, in den Liedern einiger Sänger vor. Ich selbst hatte mein Repertoire um Worksongs wie „John Logan“ und „Take this Hammer“ sowie Sklavenballaden, die ich auf Odettas Platten gehört hatte, erweitert. Meine Lieder wurden gut aufgenommen, sie hatten aber nicht den kritischen Biß und die „intellektuelle Note“ von Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp, den Stars des Festivals.

Eine Sängerin aber stach unter den anderen hervor. Der Name war Fasia Jansen, und sie war die erste schwarze deutsche Erwachsene, die ich gesehen hatte. Ihre Mutter war Deutsche und ihr Vater, Momulu Massaqoi, der erste liberianische Konsul (1922-1929) in Deutschland. Sie war gerade drei Jahre älter als ihr Neffe Hans J. Massaquoi (49), der nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten emigrierte und später Chefredakteur der Zeitschrift „Ebony“ wurde.

Fasia Jansen 1929-1997
Fasia Jansen 1929-1997

Sie war die einzige unter all den Sängern, die direkt Hinweise auf die Situation der Schwarzen in Amerika gab mit dem Lied „The Ballad of William Moore“ (50) von Wolf Biermann, einem Liedermacher aus der DDR.(51) William Moore war ein weißer Briefträger aus Baltimore, der von Chattanooga, Tennessee, nach Jackson, Mississippi, laufen wollte, um dem Gouverneur Ross Barnett einen Protestbrief gegen die Rassentrennung zu bringen. Bevor er sein Ziel erreichte, wurde er in Etowah County in Alabama ermordet.

 

 

 

 

 

Maria 1970
Maria 1970

                            Marginal sein

 

"Die Straße, in der wir wohnten, war ruhig und nicht weit von dem Park, an dem die Stadtbefestigung, die einst das Zentrum umgab, entlang läuft. "Es war eine durch-schnittliche Mittelschichtsnachbarschaft. Aber wir fielen nicht nur wegen der Hautfarbe auf, sondern ganz einfach, weil wir jung und anders gekleidet waren. Möglicherweise wirkten wir schon wie Hippies, bevor es die Bezeichnung „Hippie“ überhaupt gab. Maria war besonders gekränkt, wenn Leute alte Kleider auf den Zaun hängten. Als seien wir zu arm, uns neue Kleidung   zu leisten".


Donald Vaughn 1970
Donald Vaughn 1970

"Erst als wir Amsterdam besuchten, in den Siebzigern ein Zufluchtsort für Hippies, fühlten wir uns auch in der Öffentlichkeit wohl. Der Damrack war der Treffpunkt für die Flower Power Generation. Dort versammelte sie sich um Hollands Nationaldenkmal. Es gab kein Gesetz gegen den Gebrauch von Cannabis, und man konnte Marihuanazigaretten in kleinen Kaffeehäusern, die ein Cannabisblatt an der Tür hatten, kaufen. Für uns war Amsterdam ein Ort, wo wir mit unseren Kindern die Straße entlang laufen konnten, ohne angestarrt zu werden. Wir unterschieden uns nicht von den zahlreichen anderen gemischten Paaren. Ein Schmelztiegel von Farben, in dem wir nicht auffielen".


 

 Bedrohte Arten

 

Gewöhnlich begegneten Demonstranten der Polizei mit Ghandi-ähnlichem Widerstand. Namé, nun zwanzig Jahre alt, nahm am Protest gegen die Startbahn West teil. Er entwarf Postkarten und Poster und verteilte Flugblätter in der ganzen Stadt. Das war seine erste politische Aktion. Es erstaunte mich nicht, als er seinen Schlafsack und sein Zelt nahm, um sich den „hardcore“- Demonstranten in dem provisorischen Dorf aus Hütten und Baumhäusern im Wald anzuschließen. Er ging allein und ich war sicher, dass er auf sich aufpassen konnte.

Das Topthema des Tages war „Blutiger Sonntag an der Startbahn West.“ Ich erstarrte, als ich Bilder von Polizisten sah, die mit Schlagstöcken auf Demonstranten prügelten während andere mit Tränengas sprühten. Ich hörte, wie ein blutüberströmter Fotograf seinen Kopf hielt und zwischen Weinkrämpfen versuchte, seine Geschichte einem Reporter zu erzählen. Ich suchte in der Menschenmenge nach jemand, der wie unser Sohn aussah. Horrorszenarien fegten durch meinen Kopf und ich stellte ihn mir in einer Frontreihe von Protestierern vor, wo er, alle Möglichkeiten seiner Redegewandtheit ausnutzend, versuchte den Polizisten in ihrer „Modern--Samurai“--Rüstung ein Schuldgefühl einzureden, bevor sie von allen Seiten auf ihn losgingen,"

 

 

 Negerküsse

 

 Die Buchmesse 1980 hatte den Schwerpunkt „Schwarzes Afrika“. Wir fanden, dass dies eine ideale Gelegenheit war, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass nicht nur in Südafrika Rassismus herrschte, sondern auch in Deutschland üblich war, nämlich in der Sprache und in den stereotypen Darstellungen von Schwarzen. Unsere Gruppe war weder groß genug noch hatten wir genügend Geld, um eine groß angelegte Kampagne zu starten. Als wir erfuhren, dass im Römer, wie das Frankfurter Rathaus genannt wird, ein Empfang für Autoren und Verleger aus der ganzen Welt geplant war, entschieden wir, dass dort der strategisch beste Ort für eine Demonstration war.

Wir gingen schnell zum Eingang des Römer, postierten uns auf den Stufen mit den diskriminierenden Ausdrücken aus Werbung und Alltag auf den umgehängten Plakaten wie „Negerküsse“ oder „Mohrenköpfe“, ein mit Creme gefülltes Gebäck, das man in jeder Bäckerei kaufen konnte. Wenn ich zufällig im Laden war und ein Kunde „Negerküsse“ verlangte, sagte ich: „Ich kann Ihnen einen kostenlos geben“, als Versuch, ihm bewusst zu machen, worüber er gerade sprach. Andere Ausdrücke waren nicht so harmlos. „Einen Neger abseilen“, zum Beispiel, bedeutet Stuhlgang. Wir versuchten nicht zu diskutieren. Wir blieben stoisch stehen und ließen die Texte für sich sprechen. Manche Leute schauten sich die Worte „Bimbo“ oder „Nigger“ an und waren offensichtlich verlegen, unmittelbar Menschen gegenüberzustehen, die eindeutig mit diesen Ausdrücken gemeint waren, und verschwanden schnell in der Halle. Aber bald hatte sich eine kleine Gruppe um uns versammelt, einige sympathisierten mit unserem Anliegen, andere meinten, unsere Vorwürfe seien trivial. Sprache kann begeisternd oder auch destruktiv sein, aber nie trivial!